Thomas Barnado Teil 04


Teil 4

Tante Ute erzählt von den Kaminfegerkindern, die nackt in den engen schmutzigen Kaminen hochstiegen, um sie zu fegen. Weil sie so schmutzig waren, mussten sie auf einem Rußhaufen übernachten.

„Stimmt, wie in der Geschichte von Oliver Twist!“, sagt  Benni lebhaft. „Das hatten wir auch mal in Deutsch. Kann man sich gar nicht vorstellen, durch den Schornstein zu krabbeln, total eng! Und erbärmlich dreckig!“

„Thomas Barnardo hörte davon durch einen vornehmen Lord, der sich sehr für das Schicksal der Ärmsten einsetzte, wie auch für die armen Kinder, die vierzehn Stunden durch die Bergwerksgänge kriechen mussten, um die schweren Loren zu ziehen - mit einer Kette, die zwischen ihren Beinen durchlief.

Außerdem erzählte er dem erschrockenen Thomas von den Weberkindern, die auch so einen unendlich langen Arbeitstag hatten. Diese Kinder lebten wie Sklaven in ihrem eigenen Land, bis endlich Gesetze geschaffen wurden, die das Allerschlimmste verboten. Lord Shaftesbury setzte sich zeitlebens dafür ein, den Kindern das Leben etwas zu erleichtern.

„Wie denn?“ Die Jungen haben atemlos zugehört. „Zum Beispiel durfte ab jetzt nur noch bis Samstagmittag gearbeitet werden anstatt bis abends. Die armen Kinder in den Bergwerken sahen davor nur am Sonntag das Tageslicht, sonst lebten sie im finstern Schacht und kletterten spätabends nach draußen.“

„Das haut einen ja richtig um. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man so leben kann. Schrecklich!“ Benni sucht sichtlich nach Worten.

„Ja, in dieser Zeit lebte Thomas Barnardo. Bevor er Lord Shaftesbury kennenlernte, wusste er noch kaum etwas von all diesen Verhältnissen. Wer kam denn auch schon an die schrecklichen Arbeitsplätze der armen Kinder? Vornehme Leute fuhren elegant gekleidet in der Kutsche durch London, aber doch nicht in die schmutzigen, überfüllten Armenviertel.“

„Hat denn Thomas nie selbst erfahren, wie es dort bei den Armen zuging?“ Benni und Pascal haben atemlos zugehört, denn die Geschichte hat sie gepackt. „O doch, eines Tages sprach er nämlich mit Jimmy, doch das ist eine neue Geschichte. Heute nicht mehr, ihr beiden Forscher, denn dafür muss ich erst weiterlesen.“

Etwas enttäuscht, aber auch sehr zufrieden mit den erhaltenen Informationen, schieben die Jungs ab. Auf dem Rückweg werden sie Tante Utes Schuhe zur Reparatur bringen, das liegt genau auf ihrem Weg.

„Bis übermorgen“, rufen alle drei gleichzeitig, und dann schließt sich die Haustür hinter den Jungen.

 Unterwegs fällt Benni ein, dass er seinen Schulfreund eigentlich etwas fragen wollte, gestern hat er’s glatt vergessen: „Du, Pascal, du sagtest neulich, dass du im Kinderdorf wohnst. Ist das tatsächlich ein ganzes Dorf, wo nur Kinder wohnen? Kommt ihr da gut klar? Und wieso ist denn hier mitten in der Stadt ein Dorf? Etwa mit Bauernhöfen und Kühen und Mist und so?“

„Nee!“ Pascal lacht sich kaputt. „Hast du denn noch nie von Kinderdörfern gehört? Da gibt es doch keine Bauernhöfe! Wir haben ganz normale Häuser und in jedem wohnt eine Kinderdorffamilie. Zu meiner Familie gehören das Ehepaar Kügler mit ihren drei eigenen Kindern, meinen beiden Schwestern Annabelle und Roxanna und mir. Neulich kam noch Ömer dazu. Und Maja. Das war’s.“

„Und wo wohnt deine richtige Familie?“

„Mein Dad lebt in USA und meine Mama hat einen andern Mann geheiratet. Wir besuchen sie oft an den Wochenenden und in den Ferien. Vielleicht gehen wir irgendwann wieder zu ihr, aber hier im Kinderdorf ist’s auch in Ordnung. Sonst noch Fragen?“

Benni hat nun erst mal genug, worüber er nachdenken muss. Diese Neuigkeiten wird er heute beim Abendessen den andern erzählen. „Tschüss, bis morgen!“

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Danke an Erika Demant und den CSV-Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Danke an Gunther Werner für die Bearbeitung.

Die Geschichte gibt es hier auch als Buch zu kaufen

Bild: (c) Can Stock Photo / colematt