Thomas Barnado Teil 12


Sylvi sitzt immer noch zusammen mit Benni und Pascal über die vielen Kärtchen gebeugt am Tisch.

„Du, Benni, was meint ihr denn mit dem Stichwort ‚Mütterabende’? Passt das überhaupt hierher?“

„Auf jeden Fall. Thomas stellte fest, dass seine Zerlumptenschule nur ein Anfang war, um etwas gegen das Elend in den Familien zu unternehmen. Die Eltern waren mindestens genau so arm dran wie ihre Kinder. So lud er die armen Frauen zu Mütterabenden ein. Barnardo freute sich unheimlich, dass er gute Mitarbeiterinnen fand, die den armen Frauen Kurse im Nähen und Stricken anboten. Ganz wichtig war für ihn, dass die eingeladenen Frauen die gute Botschaft aus der Bibel hörten. So lernten sie den Herrn Jesus kennen.“

„Euer Doktor Barnado hatte wirklich geniale Ideen!“, meint Sylvi anerkennend. „Es war doch absolut praktisch, wenn eine Mutter lernte, die Kleidung für ihre Familie selbst herzustellen! Das ist doch sinnvoll, das bringt was! So was würde ich auch gerne machen! Kein Vergleich mit den Bastelkursen für Deko-Kram, der nach der Saison weggeschmissen wird. Für die Arbeit könnte ich mich richtig begeistern. Erzähl weiter!“

„Barnardo richtete auch eine Bibliothek für die Frauen ein. Und, ganz wichtig, er machte viele Hausbesuche, denn immer wieder hörte er von Familien, wo Kinder oder auch Erwachsene in größter Not lebten. So kam’s ganz von selbst, dass er auch Krankenbesuche machte.“

„War er denn inzwischen fertig mit dem Medizinstudium?“

„Eigentlich nicht. Aber die Kranken ließen sich gern von ihm helfen und Thomas Barnardo half gern, wo er nur konnte. Weil er als Arzt beliebt war, nannte man ihn einfach ‚Doktor Barnardo’. Genau das brachte ihm ganz schön Ärger. Leute, die ihm was anhängen wollten, machten ihm zum Vorwurf, dass er sich einfach als Doktor ansprechen ließe, ohne einen Studienabschluss zu haben. Dabei war das nicht seine Schuld.“

Sylvi hört aufmerksam zu und will wissen: „Steht das alles in Tante Utes Buch? Meine Bücher haben eher so ausgedachte Geschichten, so dass dir zwar fast die Luft wegbleibt vor Spannung und es überall kribbelt. Aber am Schluss denk ich oft, dass doch nur alles gesponnen ist. Passiert denn im wirklichen Leben nicht Aufregendes genug?

Bei eurem Doktor Thomas scheint das ja der Fall zu sein, schade, dass er nicht mehr lebt. Mit so einem faszinierenden Mann  hätte ich gern mal gesprochen, ihn nach allem ausgefragt!“ 

„Du wirst am besten Journalistin, das ist doch so ein Ausfrageberuf, oder?“, empfiehlt ihr Benni und hat tatsächlich damit bei seiner Schwester einen Funken gezündet.

„Und du wirst bestimmt eines Tages Deutschlehrer, wenn das so weitergeht“, gibt Sylvi den Ball zurück.

Benni ist für Sekunden sprachlos, doch dann fasst er sich schnell:

„Sag mal, hast du Fieber? Ich und Deutschlehrer! Das wär das Allerletzte!“

Doch seine Schwester hat sich das gut überlegt: „Seit ihr dauernd zu Tante Ute geht und du ständig mit Pascal an deinem Referat hockst, sprichst du total anders, so hochdeutsch, fast schon wie ne wandelnde Grammatik. Aber das ist ja kein Fehler, ganz im Gegenteil, ein ganz neuer Glanz in unsrer Hütte, ich bin stark beeindruckt.“

Nach dieser langen Rede seiner großen Schwester fällt Benni nichts mehr ein. Man hört nur noch ein Gemurmeltes wie „ ... muss los, bin mit Pascal verabredet“ und schon ist er verschwunden.

 

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Danke an Erika Demant und den CSV-Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung. 

Danke an Gunther Werner für die Bearbeitung.

Die Geschichte gibt es hier auch als Buch zu kaufen

Bild: (c) Can Stock Photo / colematt