Thomas Barnado Teil 13
Ingo Kügler, der Hausvater, guckt Pascal und Benni interessiert über die Schulter.
„So was kannten wir als Schüler nicht, wir mussten immer eine Gliederung für die Aufsätze schreiben. Doch ich muss trotzdem mal kurz stören. Pascal, denkst du daran, dass du heute mit Schuhe putzen an der Reihe bist? Ich hab eben noch mal in den Ämterplan reingesehen, nur eine kleine Erinnerung!“
Bisschen dumm jetzt, denkt Pascal, passt nicht so perfekt. Aber was sein muss, muss sein.
Benni schaut verschmitzt, denn er errät Pascals Gedanken.
„Ach, wenn wir doch eine Schuhputzerbrigade hätten!“, flötet er.
„Eine was?“, fragt Ingo verblüfft, „Eine Brigade, sagtest du?“
„Hm.“ Jetzt ist’s an Pascal, belustigt zu schmunzeln. Bereitwillig erklären sie, was es damit auf sich hat:
„Angeregt durch den eifrigen Lord Shaftesbury, der schon die originellsten Ideen umgesetzt hatte, gründete Thomas Barnardo diese Schuhputzer-Truppe. Er fand es sehr wichtig, dass die Jungen nicht nur im Heim schliefen und aßen, sondern auch Aufgaben hatten und zum Lebensunterhalt beitrugen. Sie sollten erfahren, wie man durch seiner Hände Arbeit Geld verdienen konnte, auch wenn es nicht viel war. Die Jungs bekamen eine chice Uniform und einen Kasten mit Schuhputzutensilien, dann konnten sie losziehen.
Damals waren die Straßen natürlich noch nicht so sauber wie heutzutage“, erklärt Benni. „Nicht geteert und auch nicht gefegt. Ihr müsst euch vorstellen, dass zwar manche der breiteren Straßen gepflastert waren, aber nicht die engen Gassen der armen Leute. Im Sommer Staub, im Herbst Schlamm und im Winter schmutziger Schnee. Dazu kam, dass die Anwohner nicht nur ihre Abfälle, sondern auch –haltet mal kurz die Luft an – auch den Inhalt ihrer Nachttöpfe unbekümmert auf die Gasse kippten! Das alles mischte sich zu einem unbeschreiblichen stinkenden Schmier. Wer da durchwaten musste, hätte dringend Gummistiefeln gebraucht, aber die kannte man noch nicht, leider.
Die aufwändig hergestellten Lederstiefel der Reichen sollten lange halten und dafür brauchten sie gute Pflege: Schmutz abbürsten, Leder fetten und polieren.
Stellt euch vor, da spazierte ein feiner Herr durch die Stadt zu einem wichtigen Termin und stellt bestürzt fest, dass seine Schuhe unmöglich aussehen! Zu seinem großen Glück steht an der Ecke ein kleiner Schuhputzer, der seine Dienste anbietet:
‚Kommen Sie hierher, mein Herr! Niemand putzt Ihre wunderschönen Schuhe so auf Hochglanz wie ich, und alles für nur einen Penny!’
Das ließ sich Mister X doch nicht zweimal sagen! Schon stand der erste Fuß auf dem Holzkasten, der gleichzeitig Materialkiste war. Eifrig putzte der Kleine, bis beide Schuhe spiegelblank waren und der feine Mister selbstbewusst zu seinem Termin aufbrechen konnte. Die kleine Münze hatte ihm nicht wehgetan, aber dem fleißigen Jungen viel gebracht.
Von ihrem Verdienst bezahlten sie in kleinen Beträgen die Uniform ab, die damit ihr Eigentum wurde.“
„Toll! Habt ihr in der Schule einen Film über den Dr. Barnardo gesehen oder woher wisst ihr so gut Bescheid?“
Hausvater Ingo ist sichtlich erfreut, dass die Kinder so eine gute Story zu hören bekommen.
Die Erzähler lächeln verschmitzt: „Kleines Betriebsgeheimnis! Wir haben so unsere Quellen!“
Auch Susa Kügler, die Kinderdorfmutter, hatte sich unter die Zuhörer gemischt. Nachdenklich beobachtet sie das Interesse und die Konzentration der sonst so verschiedenen Kinder. Da sind welche mit sehr guten Schulleistungen und andere, die’s beim Lernen schwerer haben , aber in den letzten Minuten waren sie alle voll dabei, das ist hochinteressant. Und das bei ganz normalem Erzählen. Sollten sie es damit auch mal wieder versuchen?
Auch Pascal fällt auf, dass er so aufmerksame Zuhörer hat. So ruhig ist es hier wirklich selten.Als er mal kurz mit Susa alleine ist, kommt ihm eine Idee: „Was hältst du davon, wenn wir Tante Ute hierher einladen? Ich hab das Gefühl, den andern macht das Erzählen auch Spaß, und sie kann’s wirklich gut!“
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Danke an Erika Demant und den CSV-Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Danke an Gunther Werner für die Bearbeitung.